Was ist eigentlich… Digitalisierung

Da stelle mer uns mal janz dumm und fragen — wat is en Dampfmaschin?

Ist nämlich alles schon mal da gewesen, oder zumindest so ähnlich.
Damals, in der Industrialisierung. Und was war das noch gleich?
Dampf in allen (Fabrik-)Gassen? Heissdampf? Mehr Dampf?

Korrekter wäre der Begriff Industrielle Revolution, das impliziert schon etwas mehr als nur eine rein technische Dimension. Wikipedia schreibt:
Als industrielle Revolution wird die tiefgreifende und dauerhafte Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände bezeichnet“.

Das passt in meinen Augen gut, denn wir stehen ebenfalls vor einer derartigen tiefgreifenden und dauerhaften (ja, das Internet geht nicht mehr weg!) Umgestaltung. Und das nicht erst seit gestern, insofern sind die Vorboten bereits deutlich spürbar, wenn monatlich zigtausend Jobs wegfallen oder verlagert werden. Diverse Listen kursieren mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten, mit denen ein Job in Zukunft wegdigitalisiert werden könnte — und genauso viele, die sich mit neuen Berufsbildern befassen — warten wir’s ab.

Ok, was ist aber nun diese Digitalisierung?

Stadt- und landläufig scheint wichtig zu sein, von NetflixAmazon Prima & Co. möglichst schnell möglichst viele parallele High-Definition-Streams abrufen zu können. Dafür benötigt man einen schnellen Internet-Zugang (aka Glasfaser). Und für Unternehmen ist es — ohne Frage — wichtig, dass diese auch im ländlichen Raum und auf der grünen Gewerbewiese überhaupt ans Netz der Netze angeschlossen sind und Geschäftsdaten übertragen können.

In der Medienöffentlichkeit steht derzeit (und immer noch) dieser Infrastruktur-Aspekt weit vorne. Das ist insofern nachvollziehbar, da die BRD im internationalem Vergleich bestenfalls im Mittelfeld rangiert. Aber hier wird — doch, tatsächlich! — einiges getan, sogar soviel, dass die Glasfaser-Verlegefirmen aufgrund von Kapazitätsengpässen kaum hinterherverlegen können.

Ob das in der Digitalen Agenda für 2018 (und somit bereits verfehlte) ausgegebene Mindestziel von 50 MBit/s hier ausreichend erscheint, mag jeder selbst entscheiden.

Neben diesen Basisanforderungen wird unter Digitalisierung mitunter auch schlicht die „Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologie“ im Unternehmen verstanden. Natürlich ist der Software-Einsatz allein zur Effizienzsteigerung unabdingbar, aber das dürfte heute kaum noch ein Thema sein. Es gibt keine Branche mehr, die nicht auf entsprechende Lösungen setzt und vereinzelte Akteure, die sich dem tatsächlich erfolgreich widersetzen, haben meist schon ihren Ruhestand vor Augen.

Die IT-Infrastruktur ausserhalb und innerhalb des Unternehmens kann also eher als eine absolut notwendige Mindest-Digitalisierung angesehen werden — eben so, wie eine Dampfmaschine die Basis für die weitere Industrialisierung bildete.

Zurück zur Geschichte: ein derartige gesamtgesellschaftliche Umwälzung hat es vor der Industrialisierung wohl noch nicht gegeben, zumindest nicht in einer so kurzen Zeitspanne. Alle, aber auch wirklich alle Aspekte des Lebens und Arbeitens wurden tangiert und transformiert. Es kam zu einer dramatisch verbesserten Lebensqualität, aber auch zu sozialen Unruhen und sich daraus ergebenden Reformen.

Darauf folgende weitere Umbrüche von Wirtschafts-, Produktions- und Arbeitsformen wurden als zweite (Elektrizität, Massenproduktion) und dritte industrielle Revolution (Mikroelektronik) beschrieben — somit ist dann die vierte industrielle Revolution vielleicht passender?

Digitalisierung passiert (bzw. muss passieren) also auf mehreren Ebenen, die sich gegenseitig bedingen, beeinflussen und auch entwickeln:

  1. Digitalisierung von Prozessen
    Dieses Digitalisierungsfeld ist keineswegs neu und wird seit dem Einsatz von Computern und Software in Unternehmen kontinuierlich weiter entwickelt. Der treibende Faktor sind hier Effizienzgewinne und Produktivitätssteigerungen. Spätestens seit dem Internet als übergreifendem Netz werden hier zunehmend auch Unternehmensgrenzen überschritten.
  2. Digitalisierung von Produkten/Leistungen
    Eigentliche alle komplexeren physischen Produkte sind heute bereits in irgendeiner Form softwarebasiert (Kaffeeautomaten, Autos), rein digitale Produkte wie Video-on-demand oder Software per Definition ohnehin. Dieser Trend wird weiter voranschreiten, in dem etwa die physische Basis eines Produktes sehr generisch gehalten wird und die eigentliche Funktionalität (oder ein gewisser Mehrwert gegen einen Aufpreis) über Software implementiert wird. (In einem Tesla lassen sich der Autopilot oder “zusätzliche PS” bereits heute per Software-Update nachrüsten.)
  3. Digitalisierung von Geschäftsmodellen
    Hier verbirgt sich ein besonders radikaler Wandel: Unternehmen verkaufen nicht mehr Produkte oder Dienstleistungen, sondern Lösungen und Services. Das lässt sich gut am Beispiel von Car-Sharing (in all seinen Ausprägungen) zeigen: der Nutzer besitzt kein Auto mehr, sondern mietet es für die Zeit, die er es wirklich benötigt. Um Inspektionen, Reparaturen, Reinigung, TÜV, Betankung usw. muss er sich keine Gedanken machen.
    Er kauft also den reinen Nutzen: Mobilität.
    Weiterhin sind hier Plattform-Modelle zu nennen, die Nachfrage und Angebot mehr oder weniger intelligent und nutzenstiftend zusammenbringen und über Provisionen oder Zusatzleistungen Gewinne erzielen. Beispiele sind hier die App Stores, aber auch der Amazon MarktplatzGoogle und Facebook.
  4. Digitalisierung der Arbeitswelt
    All das kann nicht ohne einen Wandel der Arbeitswelt passieren, und auch das ist bereits beobachtbar, besonders natürlich in den treibenden Branchen wie Software-Entwicklung, Internet-Agenturen und „irgendwas mit Medien“.
    Aber mittlerweile ziehen auch etablierte Unternehmen nach und merken, dass die bisher etablierten Arbeitsstrukturen und -Modelle einerseits an den Widerstand und die Bedürfnisse der neuen Arbeitnehmergeneration stossen („Generation Y“) und andererseits den Anforderungen an eine immer komplexere, vernetztere, unsichere und mehrdeutige unternehmerische Realität (VUCA) nicht mehr gerecht werden.
    Hier entstehen derzeit Konzepte und Ideen wie New Work und radikal geänderte (aber nicht unbedingt neue) Unternehmensformen wie selbstorganisierte Unternehmen und holokratische Strukturen. All das bietet gleichzeitig die Chance einer humaneren und sinnstiftenden Arbeitswelt für alle beteiligten Akteure.
  5. Digitalisierung der Gesellschaft
    Weiterhin muss sicherlich ein sozial-psychologischer Aspekt der Digitalisierung angeführt werden: der Digitalisierungs-Begriff ist nebulös, potentiell angstbesetzt und für den Einzelnen in seinen Auswirkungen kaum absehbar.
    Die gesellschaftlichen Auswirkungen werden von positiven Aspekten wie nie da gewesenen Möglichkeiten zur globalen Partizipation, der (Selbst-)Verwirklichung und individuellen Lebensmodellen reichen bis hin zur drastisch verstärkten Existenzangst durch drohenden Jobverlust sowie negative Auswirkungen auf die eigene physische und psychische Gesundheit durch Arbeitsverdichtung, stetigen Wandel und andauernde Erreichbarkeit.
    Digitalisierung mag zudem zu mehr Eigenverantwortung und einem neuen Selbstbewusstsein führen: Menschen informieren sich (was von Fachleuten nicht immer gerne gesehen wird) immer stärker selbst über Krankheiten und andere, persönlich relevante Sachverhalte. Die persönlichen Probleme “gehören mir” — gewünscht wird keine bevormundende Expertenberatung mehr, sondern eher Begleitung und Anleitung zur Selbsthilfe. Insofern ist hier auch ein demokratisierender und “ermöglichender” Aspekt enthalten.

“Digitalisierung” ist also sehr vielschichtig und eröffnet für alle Akteure und die gesamte Gesellschaft vielfältige Handlungsfelder. Da diese stark aneinander gekoppelt sind und sich gegenseitig in komplexer Weise beeinflussen, sind die Auswirkungen der Digitalisierung heute noch kaum oder nur in Ansätzen absehbar.

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